Gipfelkreuz

Schön ist das nicht, denke ich grimmig. Schön ist Couch, Decke und Tee, ein beheiztes Wohnzimmer und meine Familie, die sich ums Abendessen kümmert.
Mir ist kalt, obwohl ich schwitze. Meine Handschuhe musste ich wegen eines akuten Hitzeausbruchs ausziehen, jetzt frieren meine Finger. Ganz steif vor Kälte sind sie schon. Einen Tod muss man eben sterben.

Bergsteigen ist so gar nicht meins. Besonders nicht alleine. Und schon gar nicht mitten im Winter. Und doch stapfe ich den steilen Weg nach oben, als würde ich dafür eine Belohnung bekommen.

Ich bin schon mehrmals überholt worden. „Grüß Gott!“, sagen die Wanderer fröhlich mit frischer Stimme und hüpfen an mir vorbei. Ein paar von ihnen sehe ich bereits zum zweiten Mal: Sie sind doch tatsächlich schon wieder auf dem Abstieg. „Hey!“, keuche ich gequält, bleibe kurz stehen und halte mich an einer Tanne fest, nur um gleich wieder weiterzulaufen. Ich ahne: Wenn ich anhalte, kehre ich um.

Warum mache ich sowas? Warum fordere ich mich selbst immer wieder heraus? Vielleicht ist das vererbt, denke ich und muss über meine Herkunftsfamilie grinsen, die die Begeisterung für Bewegung in der Natur und Bewegung nun mal wirklich nicht erfunden hat. Tatsächlich mache ich gern was Neues, entdecke, probiere aus. Manchmal bin ich auch stur. Doch da ist noch ein ganz anderer Teil, einer, der sich selber was beweisen will. Der beweisen will, dass Ängste und Befürchtungen nicht mein Leben regieren, sondern ich. Nur ich. Die einen lernen Singen, die anderen nehmen eine haarige Vogelspinne auf ihre Hand und ich besteige nun mal einen verdammten Berg – alleine!

yes – 798 Meter

Oben wirst du von dem wahnsinnigen Ausblick belohnt, haben sie gesagt. Ich linse zum Himmel: der ist grauweiß und je höher ich komme, desto nebliger wird es. Hoffentlich verlaufe ich mich nicht auf dem Rückweg. Ich sehe mich schon halb erfroren unter einer Tanne in Embryonalstellung kauern. Und dann habe ich es ganz plötzlich geschafft: Ich bin oben! Weiter gehts nicht mehr. Ich platziere mein Handy auf einem Ast und mache ein paar Selfies von mir, wie ich mich freue. Tatsächlich habe ich kaum noch Kraft für irgendwas, aber kann ja nicht schaden, den Moment für die Nachwelt festzuhalten. Jemand hat auf ein Warnschild ein schmales Brettchen horizontal festgebunden und damit ein kleines Gipfelkreuz erschaffen. 798 Meter steht da drauf. Für den Reinhold ist das lächerlich, für mich ist es ein Erfolg! Ausblick gibt es keinen und es ist arschkalt. Außerdem dämmert es langsam. Schnell nach unten.

Der Rückweg geht viel schneller – klar, geht ja auch bergab. Ich lande auch unter keiner Tanne, sondern in meinem Auto, das nach kurzer Zeit wohlig warm ist. Ich bin erleichtert und stolz, doch die große Freude bleibt aus. Wahrscheinlich bin ich zu K.o.

Doch während ich zurückfahre habe ich DIE Erkenntnis: Eigentlich mache ich ja beim Meditieren auch nichts anderes, als innerlich Berge zu besteigen. Immer und immer wieder. Jedes Mal bringe ich meine Konzentration zu meinem Atem zurück, lasse Gedanken und Gefühle weiterziehen. Setze einen Fokus, halte aus, bleibe dran. Mache weiter, obwohl alles in mir „Aufhören!“ schreit. Das ist harte Arbeit. Das ist Selbstüberwindung.

Ich sitze auf der Couch und trinke Tee. Es ist wohlig warm und bald gibt es Abendessen. Ich bin entspannt und betrachte meine Gipfel-Selfies. Und ganz plötzlich muss ich laut loslachen: Pure Freude durchströmt mich: Ich habe es geschafft, gegen alle inneren und äußeren Widerstände!

Die Welt hält so viel für einen bereit, wenn man seine Wohlfühlgrenzen von Zeit zu Zeit überwindet. Wenn du schon mal im Kleinen üben möchtest, dann komm zu unserer wöchentlichen Meditation bei dein funke:

für Anfänger und Fortgeschrittene
Montags 9 – 10 Uhr bei dein funke, Wallufer Str. 10 in Wiesbaden
Bequeme Kleidung erforderlich. Absolute Vertraulichkeit.

Gipfelkreuz

Ähnliche Beiträge